Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra
Zubringer Münchner Jakobsweg von Freising
Etappe 5: Vom Kloster Fürstenfeld nach Grafrath - 10,8 km
Dienstag, 21.12.2021
Wetterlage: Sibirische Verhältnisse
Im kalten Dezember eine Kurzetappe vom Kloster Fürstenfeld über Schöngeising nach Grafrath, kein Verlass auf Alexa, Bewegung ist Trumpf und Pausen können nicht bedient werden
Eine spontan umgesetzte Schönwetteridee
Irgendwie habe ich wohl ein Händchen dafür in unseren gemäßigten Zonen immer die extremsten Wetterlagen raus zu picken für meine Pilgerbegehren.
"Auf jeden Fall ist der heutige Tag mal wieder ein super Materialtest in winterlichen Gefilden", denke ich, als ich die Haustür aufmache und mir die morgendliche Eiseskälte dahinter unvermittelt entgegenschlägt.
Bevor ich ins Auto einsteigen kann, muss ich erstmal geschlagene 10 Minuten Eis kratzen und an der festgefrorenen Fahrertür zerren. Als ich endlich den Motor starte, um zum Startpunkt der Tagesetappe zu fahren, zeigt das Thermometer – 4.5 Grad .
"Waaas? MINUS 4.5 Grad???? Bist du irre?", schreit mich die innere Stimme, die eben noch für den Materialtest gewesen war, entsetzt an.
Zum Glück ist es, als mein Mann und ich eine halbe Stunde später neben dem Kloster Fürstenfeld parken, schon viel wärmer geworden. Das Thermometer ist bereits auf – 3 Grad geklettert.
Ich hatte vorgestern spontan, den heutigen Tag für einen kurzen Wintertrip weiter auf dem Freisinger Zubringer zum Münchner Jakobsweg ausgeguckt. Alexa hatte vollmundig sonniges Wetter angekündigt und Temperaturen über 0 Grad. Das klang sehr vielversprechend, denn die letzten Wochen waren bei uns in Bayern eher grau, nass, winterlich, aber auf jeden Fall ohne viel Sonneneinstrahlung vonstatten gegangen. Sehr zufrieden hatte ich meine Siebensachen zusammengesucht und mich auf eine sonnige Wanderung gefreut.
Ein kurzer Trainingstag sollte es werden, denn zunehmend befasse ich mich intensiver mit der Planung des Camino Frances für das Frühjahr 2022. Ich lese dazu lustige Reiseblogs und überlege zum Beispiel welche Jacke sich denn am besten für die erste Pygmäenetappe eignen würde, damit ich im April auf 1400 Metern nicht friere. Also gesetzt den Fall, dass ich einen Badweatherday erwische an dem es dort oben ähnliche Bedingungen haben kann wie heute in der bayerischen Tundra. Ja, ich weiß, dass die Pygmäen grundsätzlich kleiner sind als die Pyrenäen, die ich überqueren möchte, aber es hilft, sich das Gebirge nicht ganz so hoch vorzustellen.
Andere testen ihre Klamotten in der Kältekammer, ich fast vor der Haustür. Ich bin gespannt, ob ich heute friere. Aber ich sehe zunächst mal die Vorteile des Tages – erstens: es ist trocken heute, anders als beim Regenfiasko Anfang November im Allgäu ( lies Etappe 15 auf dem Bayerischen Camino). Und, ähm.
Was waren die anderen Vorteile noch gleich?
Start am Kloster Fürstenfeldbruck, die Sitzkarte fehlt im Gepäckdeck
Das Klostergelände ist menschenleer. Das habe ich hier bei früheren Besuchen noch nie erlebt. Normalerweise wimmelt es rund um die Kirche St. Mariä Himmelfahrt nur so von Besuchern. Der Klosterladen und die Gastronomie sind aber um diese Uhrzeit noch geschlossen. Die Temperatur tut ein übriges. Ich möchte zum Start der Etappe noch einen meiner Pilgersteine in der Klosterkirche ablegen. Dann verlassen wir das Klostergelände und gehen los.
Nach ein paar Minuten habe ich mein erstes Deja Vu. Ich habe natürlich wieder nicht gefrühstückt und wie immer auf ein "Breakfast to sit" spekuliert.
Aber es sieht so aus, als würde es wieder, wie schon auf der eben erwähnten Regenetappe, keine gemütliche Essenspause geben. Durch die dünne Wanderhose pfeift der Wind ein Liedchen und da ich ja auf Sonne eingestellt gewesen war, hatte ich blöderweise heute Morgen auf meine lange Skiunterhose verzichtet. Dachte, das wird schon ohne gehen. Außerdem habe ich kein kälteisolierendes Sitzkissen dabei. Ich hatte zwar kurz vor Abfahrt noch überlegt, ob ich eins mitnehmen sollte, aber hatte die Idee schnell wieder verworfen. A - war es schon spät gewesen und - B, nicht klar, wo genau im Haus man nach einer solchen Unterlage hätte suchen sollen.
Nur die Harten kommen in den Garten....
Jetzt, so unterwegs, und mit Blick auf die Eiskristalle, die sich mit großer Kreativität in hübschen Arrangements auf das Metall der ersten Bank am Wegesrand gelegt hatten (siehe Foto oben), ist mir schon klar, dass das Fehlen der Unterlage nach dem
Weglassen der langen Unterhose schon die dritte Fehlentscheidung des Tages gewesen war.
Die erste war überhaupt loszufahren bei der Kälte.....
Der Weg an sich ist heute unspektakulär und nicht herausfordernd. Wir biegen hinter dem Kloster Richtung Süden auf eine schmale geteerte Straße ein, der wir für ein paar Kilometer parallel aber in einiger Entfernung zur Amper folgen. Die Landschaft ist sehr winterlich, alles steinhart gefroren und wie so oft, wenn ich unterwegs bin : menschenleer.
Selbst die Zweige haben Gänsehaut. Leider ist die vorherrschende Farbe von Himmel und Landschaft an diesem Tag grau. Aber ich stelle fest, wenn man flott geht, ist es gar nicht so kalt. Nur meine Hand friert sehr schnell beim Fotografieren ein, denn dazu muss ich sie regelmäßig entblößen. Leider haben meine Handschuhe keine Touchscreenfunktion.
Im Stehen kühlt man dann fast sofort aus, deshalb gibt es heute nur wenige Fotostopps.
Verpflegung to go
Der nächste Stopp lässt allerdings nicht lange auf sich warten.
Wir befinden uns am Rande der oberbayrischen Zivilisation. Unvermittelt taucht am Wegesrand ein Gehöft samt Verpflegungsstelle im hufeisengeschmückten Vogelhäuschen auf. Hier werden jedoch keine hungrigen fliegenden Seelen versorgt, sondern zuckeraffine Wanderer. Gefrorene Schokolade und Muschelschalen werden "to go" auf dem Silbertablett angeboten. Dahinter ein rundes Spendenschälchen. Gewagte kulinarische Kombination. Mich würde spontan interessieren, ob man hier im Sommer warme Limonade finden kann, aber wahrscheinlich werde ich es nie erfahren.
Kurz danach finden wir tatsächlich eine weitere Verpflegungsstelle. Diesmal Gehölz für den Biber to go. Dieser Baum verspricht offensichtlich besonders attraktives Holz, denn der oder die Biber haben ordentlich zugepackt und ihre Zähne tief in den Stamm getrieben, um ihren Hunger zu stillen. Nur eine Frage der Zeit bis er fällt. Beim Gedanken an hungrige Biber knurrt auch mein Magen solidarisch, auch wenn ich das kulinarische Verlangen nach saftigem Holz nicht mit ihnen teile. Wir haben immer noch nichts gegessen. Im Stehen oder Gehen essen? Kommt nicht in Frage! Nein, ich habe die Hoffnung, dass es vielleicht doch noch unterwegs irgendwo ein Shelter gibt, wo man trocken und eisplattenfrei sitzen kann.
Gelb als Lockfarbe für die Sonne?
Wir passieren die katholische Kapelle St. Vitus, die in Zellhof, einem Ortsteil am Rande von Schöngeising steht. Die Kapelle ist ursprünglich aus dem 12/13. Jahrhundert und steht heute unter Denkmalschutz. Rundherum ist ein Friedhof eingelassen, auf dem nur schmiedeeiserner Kreuze stehen. Endlich mal wieder ein Farbtupfer in der sonst grautönigen Landschaft. Und weil die Kapelle sonnengelb gestrichen wurde, hat man auch eine Sonnenuhr darauf angebracht. Aber nur sonnengelb streichen hilft halt nicht. Heute lässt sich keine Sonnenuhr ablesen. Ein Wetterversteher hat, sehr weise, zusätzlich eine mechanische Uhr im Turm angebracht.
Ein Rastplatz unter fernöstlichem Einfluss
Hinter Schöngeising geht es dann in den Wald Richtung Grafrath, den wir ca. eine halbe Stunde später durchquert haben. Gut die Hälfte der Strecke haben wir schon geschafft. Wir sind flott unterwegs. Hunger und Kälte treiben uns voran. Auf einer kleinen Anhöhe finden wir diesen wunderbaren Baum samt ungewöhnlichem konstruiertem Rastplatz , der mich an die chinesische Architektur erinnert. Ein perfekter Platz für eine Pause, wenn... ja wenn nicht da wieder gefrorenes Eis auf der Bank wäre. Leider ist das Dach zu schmal, um einen Wetterschutz zu gewähren. Aber vielleicht gibt s ja im Sommer bei Sonnenschein einen Streifen Schatten für den Kopf, wenn man sich richtig positioniert.
Es tut mir zwar richtig leid, aber heute ist es hier bei dieser Kälte einfach nicht gemütlich.
Mich hätte wirklich interessiert, was es mit dem Rastplatz auf sich hat. Habe es trotz Mr. Google nicht herausfinden können.
Eine Bank am Spielfeldrand ohne Foto
Wir laufen weiter und passieren das Fußballgelände der Spielvereinigung Wildenroth .Um das Fußballfeld herum stehen ein paar vereinzelte Zuschauerbänke. Jetzt ist Schicht im Schacht. Ich brauche ein wenig Energiezufuhr. Wir stoppen, werfen unsere Rucksäcke ab und verschlingen, halb im Stehen, halb im Sitzen, vor lauter Hunger und Kälte unseren mitgebrachten Proviant in Rekordzeit. Statt des kühltemperierten Wassers mit der hohen Dichte zum nachspülen, hätte ich mir jetzt lieber eine Thermoskanne mit weniger dichtem heißem Tee gewünscht.
Aufgrund der gerade beschriebenen Zustände existiert auch kein Pausenfoto dieser Winterfütterung.
Wir machen einen kleinen Endspurt und befinden uns kurz darauf in Grafrath mit Blick auf unser Tagesziel: die Wallfahrts- und Klosterkirche St. Rasso.
Kurz vor der Kirche, bemerke ich eine Informationstafel, direkt an der Hauptstraße aufgestellt.
Darauf wird der Rasso-Pilgerweg beschrieben, der, beginnend in Geltendorf, gegen den Uhrzeigersinn rund um den Ammersee verläuft und hier in Grafrath endet, wo sich das Grab des Heiligen Rasso befindet, der Namensgeber für diesen Weg war. Ich gestehe, dass ich erstmalig von diesem Pilgerweg Kenntnis nehme, aber da er ja nicht weit von unserer Haustüre stattfindet, mache ich mir eine mentale Notiz dazu später mehr zu recherchieren.
Sogar einen Flyer gibt es in einer praktisch angebrachten Box!
Ein perfekter Pilgersteinplatz
Ich bin erfreut und denke gleichzeitig, dass der Flyerkasten sicher ein guter Ort für die vorübergehende Beherbergung eines Pilgersteins wäre, bis ein Pilger kommt , um ihn weiterzutransportieren. Und plumps, habe ich einen gelben Stein dort hineinfallen lassen!
Ich überquere die Fußgängerampel direkt daneben, um zu St. Rasso zu gelangen. Zu meiner Begeisterung ist die Kirche geöffnet und ich finde dort ein Pilgerbuch und auch einen Pilgerstempel.
Ein schöner Ausklang zu einem zwar eiskalten, aber dennoch sehr gelungenen Tag. Wir hatten unser zweites Auto vorausschauend in der Nähe geparkt, so dass wir nun bequem, die Heizung auf Maxium gestellt, wieder zum Kloster Fürstenfeld, und von dort nach Hause zurückfahren können.
Fazit: Schöne, kleine Wanderung ohne Herausforderungen. Die Jakobsweg-Beschilderung auf dieser Etappe ist äußerst sparsam angebracht. Ohne Gps-Tracks oder Karte ist der Weg nach meinem Empfinden nur seh schwer zu finden.