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Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra

Pilgerprolog:

Antworten auf Fragen, die sich jeder Pilger vor dem Pilgern stellt

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Plan A wie Alpha oder Plan P wie Pilgern.

A wie Aufbruch. P wie Pilgern. P ist mein Buchstabe. Pilgern gehen möchte ich. Direkt 800 Kilometer bis nach SdC, wie der Zielort, den mittlerweile Zigtausende jedes Jahr anvisieren, im Netz gerne  abgekürzt wird. Allein. Auf dem Klassiker, dem Camino Frances. Ausgerechnet 2020. Beschäftigung mit den Basics vorab.

Wie bei jedem unvorhersehbaren Ausgang eines  bevorstehenden Großereignisses, sollte man sich zunächst mit den wichtigen W-Fragen beschäftigen, um vorbereitet zu sein und Antworten geben zu können. Eventuell auch, um schlimme Langzeitfolgen, wie z.B. den Schnarchtinitus, zu vermeiden.

Ich bin ein Mensch der gerne plant, gern geplantes aber auch wieder über den Haufen wirft, um umzuplanen.

Die folgenden Fragen habe ich mir im Dezember 2019 erstmalig gestellt und erstmalig so für mich beantwortet.

Warum gehe ich pilgern und was bedeutet Pilgern für mich?

Ursprünglich war Pilgern ja ein religiös motivierter Gang, wobei vornehmlich  Mönch, Abt oder Bischof ,aber auch einfache Menschen aus der Unterschicht, in der Überzahl Männer, auf ihrer Wanderung mit sehr spartanischen Hilfsmitteln, Essen und Unterkunft auskamen.

Eine Unternehmung von Verzicht und enormen körperlichen Anstrengungen geprägt, ihr Gelingen abhängig vom Geleitbrief der Kirche und der Barmherzigkeit der Mitmenschen am Weg. Eine gefährliche Reise zum Grab des Apostels, die mit dem Erlass der Sünden oder (im ungünstigsten Fall) mit dem Tod endete. 

Erkenntnis Nr. 1: 

Die Ausgangslage ist  im 21. Jahrhundert eine andere. Es geht weniger um Sündenerlass und mehr um ein modernes Phänomen, das Tausende  in seinen Bahn zieht. Der Kommerz und der Fortschritt haben Einzug in die Pilgerwelt gehalten. Gratis für den heutigen Camino-Frances-Pilger sind wahrscheinlich nur noch die Blasen an den Füßen.

Aber Spaß erstmal beiseite, bis ihr euch an meinen Humor gewöhnt habt.

Die Motive loszulaufen sind facettenreicher denn je. Meine persönliche Übersetzung vom pilgern lautet den Fokus auf meinen Geist zu lenken, ihn zu weiten und  die oft kreisenden Gedanken verstummen zu lassen. Es  bedeutet zu Lächeln und das Leben des Augenblicks zu genießen, aber auch Schmerz zuzulassen. Ich möchte meiner flatternden Seele näher  kommen bis sie sich zu mir setzt, zu mir Vertrauen fasst, ich ganz ruhig werde und ihre schillernden, zarten, Flügel ganz aus der Nähe bewundern darf.

Es gefällt mir mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, Anderen zu begegnen, ihre Geschichten zu hören, von ihnen zu lernen und meine Grenzen auszuloten. Wahrscheinlich werden sich  neue Türen öffnen und andere Sichtweisen ergeben. Der Camino Frances im Speziellen bedeutet für mich einen lange gehegten Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Und ja, ein bisschen Abenteuerlust ist auch dabei. Wie spirituell es dann wird - wird sich zeigen.

Ich stelle mir allerdings vor, dass ich es mir nicht ganz so schwer wie die Pilger im Mittelalter machen möchte. Im Gegenteil. Mein Schweinehund lässt ausrichten, wenn er denn mit muss,  bestehe er darauf es sich so angenehm wie möglich zu gestalten. Nicht cheaten - das habe ich ihm schon klargemacht, aber er favorisiert  eine überdachte, saubere, im Optimalfall schnarchfreie Unterkunft für die Nacht, ein gutes Abendessen und die modernen technischen und funktionellen Errungenschaften gewinnbringend zu nutzen.

Auch wenn diese Einstellung mit sich bringt, dass ich, gerade für meine Ausstattung, ein paar mehr Euronen investieren muss, mir aber sicher auch hin und wieder mal  ein Privatzimmer für ungestörten Nachtschlaf gönnen kann.

Soweit, so gut, im Geiste zur Motivation. Aber wie wird so ein Vorhaben jetzt konkreter? Der gordische Knoten ungelöster Pilgerprobleme muss entwirrt werden:

Wann soll es, bzw. wann will ich denn losgehen?

Ursprünglich hielt es für eine gute Idee Ende Mai/Anfang Juni 20 zu starten, um zumindest einem Teil der in den spanischen Ferienmonaten Juli und August auftretenden  Hitze- und Pilgerwellen  zu entgehen und damit auch Engpässen in der Übernachtungslogistik auszuweichen. 

Wo fange ich an ?

Im noch französischen Städtchen Saint-Jean-Pied-de-Port am Fuße der Pyrenäen. Der Klassiker. Diese Entscheidung war schnell getroffen, warum auch immer. Ich hab mir einfach eingebildet ich müsste über die Pyrenäen laufen.  Aber natürlich kann jeder da anfangen, wo er/sie es für richtig hält. Am allerbesten natürlich vor der eigenen Haustür, wenn man sich für den ganzen Weg die Zeit nehmen kann.

Wieviele Kilometer läuft man denn im Schnitt pro Tag und wieviel Zeit sollte ich einplanen?

Einmal kräftig schlucken, wer sich als ungeübter Wanderer direkt mit der ersten Etappe beschäftigt, schlägt das Buch oder das Tablet meist gleich wieder zu und verspürt erstmal Fluchtinstinkte. Die hat es nämlich sowohl höhentechnisch als längenmäßig in sich. Abgesehen von dem ersten Brocken sind meistens Etappenlängen zwischen 20 und 26 Kilometer vorgeschlagen. Hochgerechnet  auf 800 Kilometer bedeutet das eine Laufzeit von ca. sechs Wochen bis nach Santiago. In 80 Tagen um die Welt in 40 bis nach SdC. Einige sind sogar wesentlich schneller.

Was nehme ich denn überhaupt so mit?

Viel schwieriger als über die Anreise zu entscheiden, war herauszufinden, was ich tatsächlich mitnehmen und sechs Wochen auf meinem Rücken tragen will, bzw. kann, da ich plante ohne Packpferd aufzubrechen. 

Noch lag der Großteil meiner Ausrüstung verborgen in meinem geistigen Nebeltal. Als unerfahrene Pilgerin stellte ich mir eine Menge Fragen dazu:  

 

 

War ein Hut mit breiter Krempe besser für mich oder doch so ein multifunktonales Tuch, welches gleichzeitig Haare  zurückhält und als Schal, Schweißband oder Handtuch benutzt werden konnte?

(An dieser Stelle schon der Spoiler - es ist der Hut geworden - erst anschließend  habe ich mir logischerweise die Domain Pilgerhut reserviert....)

Welches war letztendlich der richtige Rucksack? Besonders diese Fragestellung trieb mich um, denn in meiner  frühen Vergangenheit als Backpackerin hatte ich schon öfter die Erfahrung gemacht, wie sehr ein schlecht sitzender Rucksack alle Arten von Schmerzen von Kopf bis Steißbein, von Schulter bis Hüfte, auslösen konnte. Damit  nahm er einen entscheidenden Einfluss auf die Laune und das Durchhaltevermögen seiner Trägerin. 

Also, kurz resümiert, bequem sitzen sollte er, ein anständiges Tragesystem haben und ein geringes Eigengewicht. Am liebsten wäre mir noch ein für die weibliche Anatomie designtes Modell  mit Vorrichtung für ein kompatibles Trinksystem gewesen. Ich hatte so ein paar Kandidaten schon gesichtet, aber es haperte dann meist am Leichtgewicht.

Und dann erst der Schlafsack! Ich bin doch so eine Frostbeule. Gibt nichts Schlimmeres als nachts irgendwo mit den Zähnen zu klappern statt zu schlafen! Aber größtenteils war es im Sommer in Spanien sicher auch nachts heiß und schwül und  mich würde höchstens das Zähneknirschen meiner schlafenden Mitpilger nerven. Würde mir objektiv betrachtet nicht auch so ein taschentuchgroßverpacktes Seidentüchlein mit Druckknopf genügen? Das würde schon mal ein Kilogramm Gewicht einsparen. Aber vielleicht würde ich dann doch meine Mitpilger wachklappern?

Verehrte Leser*in, allein an der Priorisierung der Fragestellungen lässt sich erkennen, dass Sie es hier mit den Gedanken einer noch unbedarften Pilgerperson in spe zu tun haben, denn sonst wären an Prio 1 ganz sicher die Schuhe aufgetaucht, denn solange der Kopf noch dran ist, sind die Füße die Könige am körperlichen Schachbrett. Sind sie matt ist das Spiel vorzeitig zu Ende.

Doch dazu an anderer Stelle mehr. 

So ließ ich meine imaginären Entscheidungswürfel schließlich rollen und bestellte mir im Internet die Dinge, die ich als für mich geeignet geortet hatte.

Per DHL kamen  dann nach und nach einige Pakete an und bereiteten mir beim Auspacken mehr Freude als eine persönliche Übergabe durch Santa Claus.

Warum gibt es denn keine fertige Packliste für mich?

Auch noch nach dem Kauf meiner Ausrüstung habe ich immer wieder nach einer für mich optimalen Packliste im Netz gesucht, fand aber nur vereinzelt Zusammenstellungen. Diese waren dann entweder sehr allgemein gehalten und wenig erklärt oder so ultimativ übertrieben zusammengewogen, dass ich mich zwar daran orientieren konnte, aber mehr auch nicht. Ich hätte mir ein paar konkrete Empfehlungen von Pilger zu Pilger gewünscht , aber vielleicht hab ich nicht in den richtigen Foren gesucht. Letztlich muss jeder seine eigenen Erfahrungen machen und auch seine Liste je nach Tour und Jahreszeit anpassen. 

 Mehr Informationen zu meiner Ausrüstung,  und meine  persönliche Packliste und Tipps hier 

Was kann mir helfen die täglichen Anstrengungen zu überstehen?

Spontan fällt mir ein, die Trinkblase im Rucksack  mit Wein statt Wasser aufzufüllen. Aber um es mal salopp zu formulieren, so funktioniert das nicht.

Als echte Helferlein für die Füße würde ich gehen mit Blasenpflaster und Hirschtalgcreme, aber in Wirklichkeit geht es über das Erste-Hilfe-Päckchen im Rucksack hinaus.

Es hat mit deiner Einstellung zu tun. Betrachtest du dein Glas halb voll, statt halb leer ist auch deine Blase am Fuß halb leer statt halb voll. Oder so ähnlich.

Mach zur Sicherheit doch lieber ein Pflaster drauf.

Aber was ich wirklich sagen will: Du hast es selbst in der Hand, wie du die Dinge siehst. Du bist deines Glückes eigener Schmied. Glaubst du fest an dich und dass du es schaffen kannst - schaffst du es auch!

Schmeiß deine Ängste über Bord und vertraue dir selbst und dem Universum. Der Rest wird schon.

Wo finde ich geballtes Wissen?

Na klar, natürlich im Netz. Und es gibt wirklich praktische Apps für unterwegs.

Aber ich kaufte mir  auch das  gelbe Handbuch Camino Frances von Outdoor (das dem Pilgerverständnis nach leider ziemlich dick und schwer ist), dafür aber sehr hilfreich.

Ich wollte sehen und nachblättern können, was auf mich zukommt.

Damit plante ich welche täglichen Teilstücke ich bewältigen wollte, sah mir  auch die Höhenprofile der weiteren Etappen an und  überlegte, wo es für mich Sinn machen könnte zu übernachten. Im Internet  verbrachte ich Stunden damit mich zu informieren, Blogs zu lesen und mich in der Folge mit wachsender Begeisterung auf den Reisestart zu freuen. Ich war vorbereitet. In jeglicher Hinsicht. Dachte ich.

Na gut, konditionell vielleicht nicht. Aber das würde mein Wille schon wettmachen. Ich war gerade soweit, dass ich meine Tickets für die  Anreise buchen wollte. Da war es schon Ende Februar 2020 und es zeichnete sich immer deutlicher ab, was ich seit Anfang Januar zu verdrängen suchte...

Was kann mich noch abhalten ? P wie....?

Pandabär? Ähm. Fast richtig geraten. Klingt ganz ähnlich. Nur etwas kleiner. Genaugenommen nur eine mikroskopisch winzige Kleinigkeit. Ein Hinderungsgrund namens Covid 19 mit einem bösen Einschlag. Das Virus machte mir, wie auch vielen anderen Leuten, einen gehörigen Strich durch die Pilgerrechnung. Mit zunehmender Zeit und verhängten Lockdowns in In- und Ausland wurde mir sehr schnell klar, dass 2020 (genau so wenig wie 2021) nicht das Jahr meines Camino Frances werden würde.

Zunächst machte mich diese Erkenntnis ganz schön sauer und frustrierte mich, denn seit Jahren hatte ich mit dieser Unternehmung schon geliebäugelt.  Ich hatte sie schon mehrmals angepeilt und wieder verschoben. Und nun, wo  alles in meinem Lebensumfeld endlich auf ‚go‘ geschaltet  und mein Entschluss loszulaufen unumstößlich festgestanden hatte, kommt mir mein Buchstabe P mit einer Pandemie  in die Quere? "Ein wirklich pöser Pursche"*.

Und jetzt? "Plan P wie Perta"*.

Erkenntnis Nr. 2:

Flexibilität ist nicht nur für Gummibänder nützlich und vier  P's hier fehlt der Bierbauch.

"Aber eigentlich wollte ich doch den berühmten Camino Frances erleben und glücksselig in Compostela ankommen!", bockte es in mir. 

Nach einer Weile des Schmollens akzeptierte ich jedoch, dass ich SdC mit meiner Ankunft auf später vertrösten musste.

Ganz das Pilgern abhaken, bevor es überhaupt begonnen hatte, wollte ich aber nicht, Pandemie hin oder her. P blieb mein Buchstabe.  Stattdessen suchte ich mir eine Alternative im Inland. Den Jakobusweg in Bayerisch Schwaben traf dann meine Wahl.

Nicht vergleichbar mit den Härten, die mich in Spanien erwartet hätten, aber letztendlich ein umsetzbares Vorhaben unter diesen fiesen P-Umständen. Und da man aus jeder Not eine Tugend machen soll - für ein Pilgergreenhorn wie mich vielleicht auch genau richtig zum Herantasten. Beim Bergsteigen fängt man ja auch nicht mit dem K2 an.

Auf diese Weise  konnte ich meine ersten Pilgererfahrungen sammeln.  Ich suchte mir ein Startdatum, buchte mir die geplanten Übernachtungen, packte meinen Rucksack, setzte meinen grauen Hut auf.  

Ich wollte endlich Loslaufen und im Anschluss daran den Kegel meines Taschenlampenlichts heller auf mein zurückgelegtes Wegstück scheinen  lassen.

                  

                                                                             ***

Die Erfahrung ist wie eine Laterne im Rücken, sie beleuchtet stets nur das Stück Weg, was wir bereits hinter uns haben.“

Konfuzius

                                                   ____________________________

Wenn Du neugierig geworden bist und wissen möchtest ,wie meine Anreise nach Oettingen war , solltest du direkt dorthin reisen um weiterzulesen.

Wenn Du Dir lieber erstmal einen Überblick über den Bayerisch Schwäbischen Jakobsweg verschaffen willst, ist dies der Link deiner Wahl. 

Wenn Du wissen willst, wie es mir auf dem Camino 2022 ergangen ist schau dir meinen Blog an.

* denk dir einfach den Sprachfehler weg

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