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Camino Francés Woche 4 Von Sahagun nach Rabanal

Seit einer Woche bin ich in der Meseta unterwegs und genieße jeden Morgen ein fantastisches Naturschauspiel in perfekter Stille, sobald die Sonne sich wieder aus ihrem nächtlichen Versteck traut. Es gibt viele Pilger, die das Stück zwischen Burgos und Leon mit dem Bus fahren, weil sie entweder Angst vor der Bewältigung dieses kargen, baumlosen, sonnigen Stückes Hochebene haben oder weil sie denken, dass die oft kilometerlang linealgerade Strecke langweilig und reine Zeitverschwendung sei. Ich kann nur sagen: Schade! Oder: selbt Schuld!

Für mich gibt es ein paar magische Momente dort, die für alle Mühen entschädigen.

Noch 375 Kilometer liegen vor mir.




Tag 22 Sahagun - El Burgo Raneiro

"Du kannst mit Deinem Leben alles mögliche tun. Oder auch gar nichts."

(ich weiß nicht mehr, wo ich das gehört habe)



Nach meiner Ankunft in El Burgo Raneiro entscheide ich mich erstmal für Möglichkeit zwei: gar nichts tun.

Das Ortsbild gleicht einen alten amerikanischen Western, es fehlen nur ein paar angebundene Pferde und das gefährlich knarrende "Saloon"- Schild. Meine Albergue hat, ebenso wie die Meseta, Licht- und Schattenseiten. Leider überwiegen in meinem Gemach für mich die Schattenseiten. Ich wohne für zu viel Geld in einem kalten, muffeligen, dunklen Zimmerloch mit kleinem Fenster.

Es ist ein eher ungemütlichen Nachmittag im Außenbereich meines Refugiums, an dem der stürmische, kalte Wind die Wolken nur so über den Himmel peitscht, während die Sonne fast vergebens darum kämpft ihre wärmenden Strahlen über mein Gesicht gleiten zu lassen.

Morgen werde ich wieder mit meinem Leben alles mögliche tun.


Tag 23 El Burgo Raneiro - Manzilla de las Mulas

"Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter Dich"

(aus Afrika)



Ja, ich würde heute zum wiederholten Male am Liebsten nach Osten gehen, um die Sonne vor mir zu sehen, aber mein Weg führt nach Westen und mein Schatten stolpert deshalb nun mal vor mir rum. Erneut bekomme ich einen Morgen mit unglaublichen Farbakzenten präsentiert, was mich sehr glücklich macht erleben zu dürfen und von meinen Strapazen ablenkt.

Es ist noch kälter als gestern und dem Wind bin ich ungeschützt und gnadenlos ausgeliefert. Man merkt nun deutlich, dass es Herbst wird auf dem Camino. Bin sehr froh meine Mütze dabei zu haben.




Tag 24 Manzilla de las Mulas - Leon

"I ve been through the desert and I still know my name".

(geänderte Lyrics zu Horse with no name von mir)



Meseta Ende. Schön war's. Willkommen in der historischen Königshauptstadt Leon. Die Stadt, die zwar mit ihren Löwenstatuen kokettiert, die aber angeblich nicht namensgebend waren, sondern die römischen Legionen, die hier viel früher als ich ihr Lager aufschlugen.

Jeder Pilger, der es an den zentrumsnahen Infostand schafft, und das sind viele, wird mit einem Lolly begrüßt. Ein Nähset für meine Hose wäre mir lieber gewesen. Ich brauche einen Schneider oder Hosennahtreparateur, sonst stehe ich am Pöppes bald im Freien da.

In Leon habe ich einen Extratag eingeplant, für Kunst, Kultur, Kulinarik, Historie und Reparaturservice.

Tipp: Pausentag für Körper, Geist und Seele. Kathedrale nicht verpassen!



Tag 25 Leon

"Today is a gift , that's why it is called the present".

(Alice Morse Earle)






Von wegen Pausentag. Obwohl ich mein linkes, schmerzendes Bein schonen müsste, humpele ich in Shorts durch Leon by day and night, kann dem Reiz der Stadt nicht widerstehen, bestaune die Gebäude, besichtige die Kathedrale, esse fantastisch auf einem Foodmarket mit Livemusik. Ich setze mich neben den gegossenen Gaudi auf die Bank, höre abends auf der Plaza Mayor beim keltischen Festival ein Konzert einer schottischen Band und genieße den pulsierenden spanischen Herzschlag der Stadt und seiner Menschen. Auch das ist pilgern für mich, mit allen Sinnen Neues aufzunehmen.

What a great gift that day is!




Tag 26 Leon - San Martin del Camino

"Das Leben ist einfach, wir bestehen darauf es immer kompliziert zu machen."

(Konfuzius)




Gehen, Waschen, Duschen, Essen, Reden, Schlafen, Gehen. Das ist einfach. Einfach schön.

Noch im Stockdusteren versuche ich mich durch Leon zu navigieren, was mir dank anderer Pilger auf die ich irgendwann stoße und denen ich einfach folge, gelingt.

Die heutige Etappe ist kein landschaftliches Highlight. Es geht großenteils an einer vielbefahrenen Straße stadtauswärts entlang. Dazu gibt es mit fast 30 Grad mal wieder Grund zum jammern. Zu heiß. Zu anstrengend. Wo ist der Herbst denn jetzt wieder hin? Wo die Herberge?

Die 25 Kilometer nach San Martin del Camino ziehen sich wie alter Kaugummi. Ich singe, fluche, lache, leide abwechselnd ,bis ich mich an die Fersen eines jungen Italieners klemme und ihm wie in Trance folge. Im Gleichschritt marschieren wir kilometerlang schweigend. Auf einmal : innere Ruhe. Kein Murren und meckern mehr. Was das einfache Leben alles kann.




Tag 27 San Martin del Camino - Astorga

"Man, warum mussten die Römer aber auch alles auf Hügel bauen ?"

(ich zu mir)



Erneut bollert die Sonne und ich würde am liebsten leicht wie ein Schmetterling von Schattenplätzchen zu Schattenplätzchen flattern. Das wäre auch ein einfaches Leben.

30 Grad im Oktober!

Es geht heute lustig rauf, runter, rauf, runter, rauf, runter. Am Ende eines wiederum sehr fordernden Pilgertages muss man noch den letzten, nervigen Anstieg in die Altstadt von Astorga bewerkstelligen.

Ich ruhe mich nur kurz in der Herberge aus, dusche schnell, dann besichtige ich die Kathedrale und schaue mir den Bischofspalast von Gaudi zumindest von außen bei Tageslicht an.

Abgerundet wird der Tag durch eine fantastisch herzliche Gastgeberin und wunderbare Gespräche beim Abendessen.

Tipp: In der Kathedrale gibt es sogar Virtuell Reality Brillen mit denen man praktisch durch das Innere, schmetterlingsgleich, fliegen kann. Super gemacht.



Tag 28 Astorga - Rabanal del Camino

"Alles hat seine ureigene Schönheit, aber nicht jeder bemerkt sie."

(Konfuzius)



Der Sonnenaufgang über Astorga hält mich gefangen. Ich nehme mir Zeit ihn ausgiebig zu genießen und zu fotografieren, gegen die Laufrichtung. Währenddessen gehen viele Pilger ohne überhaupt einen Blick zurückzuwerfen aus der Stadt hinaus an mir vorbei, fixiert darauf die heutigen Kilometer so schnell wie möglich zurückzulegen.

Ich mag diese Etappe sehr, lasse einen letzten Pilgerstein unterwegs zurück. Abwechslungsreich führt sie leicht ansteigend nach Rabanal del Camino, einem schmucken Bergdörfchen mit Kloster. Abends besuche ich dort die Andacht in der die Mönche, drei an der Zahl, singen.

Morgen führt die Etappe zum Cruz de Ferro, dem höchsten Punkt des Weges. Ich kann es kaum glauben, dass ich so nah bin.



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Tatsächlich bin ich diese Woche wieder 125 Kilometer gelaufen und habe mich nun wieder richtig eingegroovt. Bleiben noch 250 Kilometer für zwei weitere CaminoWochen bis Santiago übrig. Das klingt einfach gut. Und schon ziemlich nah!

Ich bin bereit! Weiterlesen könnt ihr in Woche 5 von Rabanal nach Sarria.


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