20. September 2022. Ich stehe wieder vor der Kathedrale von Burgos wie vor vier Monaten, als ich vorzeitig nach Hause fuhr. Ich werde meinen Camino Morgen früh fortsetzen. Diesmal bin ich weniger aufgeregt.
In vier Wochen möchte ich in Santiago de Compostela ankommen. 510 Kilometer liegen immer noch vor mir. Zunächst stehen hinter Burgos ungefähr 200 Kilometer durch die nördliche Meseta Spaniens an, eine platte, karge, meist schattenlose, dünn besiedelte Hochebene, die mental und physisch als herausfordernd gilt. Aber mit Herausforderungen kenne ich mich ja gut aus. Also. Los geht es.
Am Anreisetag bleibt noch Zeit für eine Erkundungstour durch Burgos. Lohnt für einen Übernachtungsstopp. Die Kathedrale ist seit 1984 UNESCU - Weltkulturerbe und definitiv einen Besuch wert.
Acht Pilger habe ich beim meinem Gang durch Burgos gefunden und fotografiert, die permanent dort stationiert sind. 40 sollen es insgesamt sein, die im September 2021 zu Ehren der Gründung der Kathedrale vor 800 Jahren durch lokale Künstler jeweils individuell geschaffen und am Jakobsweg rund um Burgos verteilt wurden.
Tag 15 Burgos - Rabe de la Calzada
"Wie habe ich das Türe knallen um vier Uhr morgens vermisst..." (ich zu mir)
Kurz hinter Burgos entlasse ich ungefähr ein Kilogramm Gewicht aus meinem Rucksack, indem ich die Meisten meiner mitgebrachten Pilgersteine auf einem umgefallenen Baumstamm am Wegesrand auslege. Sie sollen mit anderen Pilgern nach Santiago oder noch weiter, bis ans Ende der Welt nach Fisterra pilgern. Die Etappe nach Rabe de la Calzada ist heute zum Wiedereinsteigen bewusst kurz gewählt, der Zielort ein sympathisches, verschlafenes Nest zum Übernachten. Ich fühle mich sehr wohl dort.
Tag 16 Rabe de la Calzada - Hontanas
"Wow. Das ist der schönste Sonnenaufgang, den ich in meinem Leben gesehen habe." (ich zu mir)
Noch in Dunkelheit verlasse ich die Herberge. Es ist sehr ruhig unterwegs. Absolut friedlich. Außen, Innen, Überall. Als die Sonne aufgeht ist das Land in unfassbare Farben getaucht. Ich weiß sofort - dies ist einer dieser magischen, unbeschreiblich schönen Caminomomente, die man für immer einfangen möchte, die sich tief eingraben ins Gedächtnis.
Auch der Sonnenuntergang in Hontanas am Abend eines langen, sehr warmen Tages, ist schön, aber bei weitem nicht so besonders wie dieser Sonnenaufgang.
Tag 17 Hontanas - Itero de la Vega
"Es ist nicht wichtig wie langsam du gehst, solange du nicht stehenbleibst". (Konfuzius)
Auch der nächste Sonnenaufgang ist nicht übel.
Mein Geist ist schon wieder total begeistert vom Jakobsweg, aber mein Körper muss sich erst wieder ans Laufen gewöhnen. Heute hat er leider diverse Probleme von Kopf bis Fuß und bockt gehörig. Den Hügel hinter Castrojeriz komme ich kaum hoch, obwohl die Steigung nicht besonders anspruchsvoll ist. Ich muss mich richtig quälen. Ich weiß noch vom ersten Mal - es wird so seine Zeit dauern, bis ich auf Touren komme.
Bin sehr froh, als ich endlich in Itero de la Vega ankomme. Zu meiner Überraschung ist es Ende September unterwegs noch genau so voll wie im Mai.
Tipp: Wenn man zur Nachhut gehört, ist es immer noch besser für den nächsten Tag ein Bett vorab zu reservieren.
Tag 18 Itero de la Vega - Fromista
"Glückliche Menschen haben nicht das Beste von Allem. Sie machen das Beste aus Allem". (Robert Lemke)
Das Licht ist an diesem Morgen erneut der helle Wahnsinn. Es fasziniert mich im Kontrast zu den dunkel aufgezogenen Wolken. Ich komme kaum vom Fleck, ich könnte stundenlang stehen bleiben und Fotos von dieser in eine wunderbare Atmosphäre getauchten Landschaft machen.
Ich bin erstaunt wie viele an mir vorbeiziehende Menschen keinen Blick für diese Schönheit haben.
Als ich endlich in Fromista eintrödele, hat sich ordentlich was zusammengebraut. Es ist windig. Ich erreiche die Herberge noch gerade trockenen Fußes, bevor der Himmel seine Schleusen öffnet. Ein Segen für die Natur, ein ungemütlicher Regen für mich, als ich später auf der Suche nach Eßbarem in die Stadt gehe. Es ist Samstag und die Supermärkte sind schon zu. Ich habe nichts reserviert und muss das erste Mal erstaunt feststellen, dass alle Tische, als ich um 19.00 Uhr essen möchte, bereits belegt sind. Ich komme nirgends mehr rein!
Tipp: In Fromista für 18:30 Uhr einen Platz zum Essen reservieren.
Tag 19 Fromista - Carrion de los Condes
"In meinem Reiche geht die Sonne nicht unter..." (Karl V.)
... behauptete mal ein Herrscher über Spanien. Dafür aber die Blumen, die diesen Namen tragen.
Flach, geradeaus, sonnig, Meseta. Verbrannte Sonnenblumenfelder. Die komplette Ernte verdörrt und verloren. Traurig anzusehen. Der Sommer war heiß und trocken. Noch heißer und trockener als gewöhnlich.
Carrion de los Condes, 2500 Einwohner stark, meine heutige Endstation, gefällt mir gut. Ich habe mir ein Pensionszimmer gegönnt, habe einen tollen Nachmittag und Abend mit einer Gitarre spielenden Nonne, vielsprachigem Gesang, einem Superessen und berührenden Gesprächen, verbracht.
Tipp: Wer noch was braucht - es gibt einen kleinen, aber gut sortierten Ausrüstungsshop an der Hauptstraße.
Tag 20 Carrion de los Condes - Calzadilla de la Cueza
"Wenn du zum Meister deines Geistes wirst, meisterst du auch auch dein Leben" (Robin Sharma)
Bereits am ersten Satzteil scheitere ich heute meisterhaft. Eine Mörderetappe verpackt in 18 unscheinbare, flache Kilometer. Immer gerade aus ,wie an einer gespannte Schnur. Kommt daher die Redensart: "Das läuft ja wie am Schnürchen?".
Bei mir läuft wieder mal nix. Vom Meistern meines Geistes ganz zu schweigen. Mehr noch als die Füße lahmen, wollen die Augen beschäftigt werden und verlangen nach Abwechslung.
Braune Stoppelfelder, mehr braune Stoppelfelder, noch mehr braune Stoppelfelder. Oh, ein paar Schafe und 10 Bäume.
Ich sehne mich nach Häusern. Nach einer Ewigkeit eine langgezogene Rechtskurve. Wann sieht man denn nun endlich die Handvoll Klötzchen von Calzadilla?
Antwort: wenn man da ist, vielleicht 50 Meter vorher.
Die Zivilisation liegt geschickt verborgen in der einzigen Senke des Tages.
Tipp: Auf ca. der Hälfte der Strecke steht ein Foodtruck!
Tag 21 Calzadilla de la Cueza - Sahagun
"Glück ist, was lächeln macht, was Angst, Sorge und Ungewissheit vertreibt und inneren Frieden schenkt" (Albert Einstein)
Ein paar Kilometer vor Sahagun erreicht man an der Kapelle Virgen del Puente einen Rastplatz an dessen Ende zwei sich gegenüberstehende Statuen errichtet wurden. Hier soll man sich genau in der Mitte des Camino Frances aufhalten. CF-Halbzeit. Yippeeh! Ich bin ganz schön froh und stolz auf mich!
Sahagun betrete ich durch seine hässliche, baufällige, heruntergekommene Seite aber das Städtchen hat auch viel Schönes zu bieten. Nicht zuletzt Straßenbeleuchtung mit Jakobsmuscheldesign.
Tipp: Wer will, kann sich hier die " Carta Peregrina" die Halbzeiturkunde, ausstellen lassen.
In dieser Woche habe ich 125 Kilometer zurückgelegt. 370 Kilometer liegen noch vor mir. Wie es weiter geht auf der zweiten Hälfte meines Weges, lest ihr in der Woche 4.
Comments