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Bayerisch Schwäbischer Jakobsweg 

Etappe 15  Weitnau - Wiggensbach 20,8 km

Pilgern unter einem Hut - Unterwegs mit Sandra

Montag, 01. November 2021

Pilgerintermezzo im November – Eine harte Probe

"Fordere viel von dir selbst und wenig von Anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben."            (Konfuzius)

Aufbruchsstimmung mit Herbstelementen

Nach einer Unterbrechung von fast 4 Monaten geht das  Pilgererleben heute wieder los.  Mein Mann und ich sind für zwei Tage kinderlos und nutzen diese Gelegenheit, um  am heiligen Feiertag, um 6 Uhr aufzustehen. Um 7 Uhr sitzen wir, pilgergestiefelt und gespornt, zusätzlich ausgestattet mit feinen Augenringen, im Auto Richtung Allgäu. Die Straßen sind noch leer.

Die Stimmung draußen ist besonders. Zwischen niedrig ziehenden Wolken fällt immer wieder ein Strahl aufgehende Novembersonne auf die Felder und taucht die Landschaft ringsum in ein mystisch schönes, goldenes Herbstlicht. Währenddessen fegt der Wind  die bunten Blätter der Bäume, die die Landstraße säumen, zu Hunderten von den Ästen. In großen Wirbeln tanzen sie vor uns durch die Luft, um schließlich  auf der Straße zu landen. Instinktiv bin ich  einen Augenblick lang  sogar geneigt die Scheibenwischer anzumachen, denn die fliegenden Blätter irritieren mich ein wenig. Aber das wäre wohl nicht sehr effektiv.  

Um 9 Uhr wollen wir in Weitnau im Oberallgäu sein, dort das Auto abstellen und aufbrechen. So ist der Zeitplan, damit wir die gut 20 Kilometer lange Tagesetappe bis Wiggensbach in ungefähr sieben Stunden –mit Pause– laufen und noch vor Einbruch der Dunkelheit in unserer Pilgerunterkunft ankommen. Gerade vorgestern wurde die Uhr zurückgestellt und entsprechend ist es schon um 17.00 Uhr stockeduster. Morgen soll dann die Anschlussetappe bis Altusried folgen. Nach meinen bisherigen Erfahrungswerten im unebenen Allgäu rechne ich mit einem  durchschnittlichen Tempo von knapp  4 km pro Stunde plus eineinhalb Stunden Pause für Frühstück und Mittagessen.

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Ein Königreich für ein trockenes Geleit

Je näher wir unserem Ziel- bzw. Startort kommen, desto tiefgrauer wird auch die Wolkenbank, der wir entgegenfahren. Der Wetterbericht hatte eine Regenwahrscheinlichkeit von 90 % vorausgesagt, aber heute Morgen hatte es ja noch ganz gut ausgesehen. Wir waren voller Hoffnung gewesen, dass wir zumindest ein gutes Stück im trockenen Zustand laufen könnten.  Mittlerweile verfinstert sich meine Miene jedoch analog dem Himmelsschauspiel. Kurz vor dem Parkplatz fängt die Windschutzscheibe die ersten Tropfen auf und nun habe ich meinen effektiven Grund, um doch noch die Scheibenwischanlage zu betätigen.

Als ich an der finalen Parkposition den Motor ausmache und die Türe öffne, schlägt mir kühle, feuchte Regenluft entgegen. Es sind etwa 6 Grad. Annähernd die angekündigte Tageshöchsttemperatur. Hervorragend. Was habe ich doch immer für Granatenideen.

Im Kofferraum krame ich aus dem Rucksack meine neue Regenjacke, die alte neongelbe Rucksackschutzhülle und meine Goretex-Handschuhe hervor. Ich tausche die Regenjacke mit meiner warmen Isolationsjacke, weil ich denke, dass mir vier  Schichten unter der Hardshell bei Bewegung doch zu warm sein werden. Also stopfe ich die Jacke erstmal in den Rucksack, so dass ich gut drankomme, falls ich meine Meinung unterwegs ändern sollte.  Ich hatte zuhause extra getestet, ob sie unter die Regenjacke passen würde. Würde sie. Und im regenhüllenumhüllten Rucksack würde sie ja auch gut geschützt sein vor Nässe.

Zwiebellook it is!

Das Zwiebelprinzip definiert man als optimale Möglichkeit den Körper mit verschiedenen ,dünneren Lagenschichten statt eines dicken Pullovers zum Beispiel, optimal warm zu halten.  Mein Zwiebellook besteht bei der Oberbekleidung  aus einem Funktionsunterhemd, darüber einem langärmeligen dünnen Funktionsshirt , einer langärmeligen, atmungsaktiven Fleecejacke und on top  der Regenjacke als Hardshell. Unter meiner bewährten Wanderhose, trage ich eine lange Skiunterhose. Dazu habe ich dünne Goretexhandschuhe  an den Händen, damit diese beim Stockeinsatz nicht eiskalt werden. Und für alle Fälle habe ich  auch noch eine warme Mütze, die ich wegen der Kapuze im Moment aber nicht brauche. Worüber ich ganz froh bin, denn mir scheint die Mischung Dickschädel mit Fleecemütze plus Regenkapuze auch nicht so richtig zu harmonieren.  Also verschwindet die Mütze erstmal im Rucksack.

Auf die sogenannte „Performance“ meiner neuen Regenjacke  unter diesen Bedingungen bin ich echt gespannt -wir erinnern uns: in Etappe 12   war ich noch fluchend mit wehendem Poncho unterwegs und den Rindviechern ein Dorn im Auge- allerdings wär es mir auch Recht gewesen auf den ersten Einsatz noch länger warten zu müssen. Aber – es ist wie es ist. Im schlechtesten Fall heute zumindest ein guter Materialtest.

Ich kontrolliere nochmal, ob wir auch alle acht Pilgersteine griffbereit eingepackt haben, die ich heute und Morgen ablegen möchte. Wir packen die Regenhüllen auf die Rucksäcke und diese auf unseren Rücken.

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Und führe mich nicht in Versuchung

Zur Orientierung gehe ich zum nahegelegenen Bushaltestellenhäuschen. Hier ist es trocken. Es gibt einen Stadtplan, einen angeschlagenen Jakobsmuschelwegweiser und eine Mitfahrgelegenheit nach Missen laut Schild. Ich habe zwar keine Ahnung, wo das liegt, aber halte einfach mal den Daumen raus, kann ja nix passieren.

Autos um diese Zeit an diesem Ort  in diesem Hundewetter sind Mangelware. Der Gedanke, jetzt per Anhalter einen Teil der Strecke zu fahren hat tatsächlich etwas Verlockendes. Obwohl ich, selbst wenn jetzt aus dem Nebel wie von Geisterhand eine schwarze Stretchlimousine auftauchen  würde, natürlich nicht einsteigen würde. Ich würde widerstehen. Konfuzius würde mir auf die Schulter klopfen und ich meinen Weg entschlossen weitergehen.  

Naja, höchstwahrscheinlich würde ich nicht einsteigen.

Hm. Aber ein kleines Restrisiko würde schon bleiben…

Startpunkt gesucht

Wir ziehen erstmal zur Kirche St.  Pelagius.  Mein Mann fragt mich, ob ich in die Kirche gehen möchte, aber ich habe jetzt keine Lust in meiner Pelle, ich möchte losgehen. Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt.  Und  schließlich werden wir Morgennachmittag wieder zu unserem Ausgangsort zurückkehren. Dann ist sicher  noch genug Zeit für eine Besichtigung.

Neben der Kirche sitzt eine nicht mehr ganz taufrische Frau. Mir ist nicht ganz klar, warum sie da sitzt, aber das mag auf Gegenseitigkeit beruhen, denn sie sieht uns verpackte Wanderer mit Erstaunen an und fragt uns, wo wir denn heute hinwollen. "Nach Wiggensbach“ rufen wir. Zweifelnd mustert sie uns. Wahrscheinlich hält sie das für keine gute Idee. Womit sie objektiv betrachtet auch Recht hat,, denn wir befinden uns auf gut 800 Meter und der klassische Jakobsweg nach Wiggensbach  würde uns bis auf 1100 Meter über den Sonneneckgrat nach Rechtis und weiter über Buchenberg führen.  Bei der nassen und aussichtslosen Ausgangslage, wäre das  sicher nicht ungefährlich, denn von Bergen oder höheren Erhebungen um uns herum ist nichts zu sehen. Alle nennenswerten Erhebungen sind bei Regen naturgemäß wolkenverhangen. 

Sie empfiehlt uns mit einer ordentlich genuschelten Prise Dialekt etwas und deutet mit dem Arm in eine Richtung. Wir trotten los.

„Was hat sie gemeint?“, mein Mann schaut mich fragend an.

„Es gibt eine Alternativroute, die etwas flacher ist und nicht über die Höhe führt. Das ist auch der Weg für die Radpilger. Er  folgt einer alten Bahntrasse. Früher fuhr hier das Isnybähnle lang und hat die Ortschaften verbunden. Lass uns mal schauen, ob wir den Weg finden.“

„Das hast du verstanden?“

„Nee, aber das hab ich vorher gelesen.“

Ich hatte mich schon vorher mit der Strecke auseinandergesetzt und wie schon auf meinen anderen Etappen die Tracks dazu überprüft und  runtergeladen.  Aber navigieren im Regen macht halt  mit Handy auch nicht viel Freude, denn entweder ist das Display im Nullkommanix nass oder man muss es in eine dieser Spezialwasserdichttaschen stecken, in der das Gerät angeblich auch einen Tiefseetauchgang überstehen würde.  Diese Schutzhüllen beschlagen jedoch, sobald ein Tropfen Wasser hineingelangt ist und das passiert sehr schnell, wenn man das Handy erst eintütet, nachdem der Regen schon begonnen hat. Auch wenn  die Touchscreen  noch funktioniert– richtig praktisch ist es nicht. Ich stecke es deshalb zurück in die Hosentasche und lass mich hofffnungsvoll nur von der Stimme leiten.

Wir irren deshalb ein bisschen herum, bis mein Gatte die Navigation mit seinem Handy übernimmt und den von mir gewählten Startpunkt findet. Heute werden wir wahrscheinlich nicht vielen Schildern mit Jakobsmuschel begegnen,  da wir ja der Alternativstrecke folgen wollen.

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Unterwegs im Regen

Es schüttet zwar nicht wie aus Kübeln, aber es regnet stetig. Wenn man sich bewegt ist es auch nicht kalt. Nach den ersten paar Hundert Metern bin ich schon mal froh, dass ich die Handschuhe mitgenommen haben, denn obwohl sie bei jedem Stockeinsatz exponiert sind und Wasser von oben abbekommen, halten sie meine Hände warm und im Moment auch noch trocken. Ich mache mir eine mentale Note: Goretex-Handschuhe mitnehmen für Pyrenäenüberquerung nächstes Jahr.

Den Radweg haben wir heute für uns ganz alleine und können entspannt nebeneinander gehen. Das hat ja auch so seine Vorteile. Klingeln würden wir durch die Kapuzen wahrscheinlich sowieso erst spät hören, um noch rechtzeitig auf Seite zu springen.

So ziehen wir zusammen durch die menschenleere Gegend. Falsch. Tatsächlich sind ein paar Menschen  gezwungen worden vor die Türe zu gehen. Es sind ausnahmslos Hundebesitzer. Oder man hat die Hunde gezwungen rauszugehen. Man weiß es nicht so genau. Man kann weder an Mensch noch Tier ablesen, wer der Antreiber war, um das gemütliche warme Haus zu verlassen.  Auf jeden Fall kann man die Begegnungen an einer Hand abzählen.

Ich muss mich erstmal an den Schnitt meiner Kapuze gewöhnen, denn auch die verlangt ein Finetuning an den verdeckt eingenähten Bändeln. Sie schränkt mein Gesichtsfeld ziemlich ein.  Was aber auch nicht weiter schlimm ist, denn die Landschaft links und rechts von uns ist quasi nicht vorhanden. Non existent. Im Nebel versunken. Allerdings ist es nicht so leicht sich zu unterhalten, wenn man den Kopf leicht gesenkt  hält, die Augen geradeaus richtet und der andere nicht im Blickfeld ist. 

Viele herbstliche Laubbäume säumen unsere alte Bahntrasse, das nehme ich schon wahr. Trotz des miesen Wetters versuchen wir unterwegs noch ein paar Aufnahmen zu machen, die mehr als nur unterschiedliche Grautöne enthalten.  Ansonsten finden wir einen ordentlichen Laufrhythmus und ich bin dankbar für die gute Wetterschutzkleidung, die es heutzutage gibt.
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 ...and I say what about breakfast at Tiffany's?....

Nach etwa einer Stunde höre ich ein Geräusch unter den vier Zwiebelschichten. Mein Magen grummelt. Kurz darauf finden wir tatsächlich eine Art Blockhütte, wo wir uns setzen und im Trockenen essen können. Ich bin überrascht. Das ist schon der zweite Unterschlupf dieser Art. Normalerweise kenne ich solche Schutzunterstände nicht von den anderen Etappen. Ich vermute einfach mal, man hat sie extra für die Radfahrer aufgestellt.

Im Nachhinein hat sich diese Vermutung jedoch als falsch herausgestellt. Tatsächlich handelt es sich im Gesamtstreckenverlauf um insgesamt 11 Wartehäuschen an den ehemaligen Bahnhaltestellen der alten Trasse, die allerdings erst 2020 unter dem Motto „Zeitreise auf alten Spuren“ aufgebaut wurden. Wie praktisch. Für welche Wartenden auch immer sie aufgestellt wurden, ich begrüße diese Idee sehr.

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Ich ziehe meine Handschuhe aus. Mittlerweile sind sie schon ziemlich klamm, aber halten die Hände immer noch warm. Auch die dickere Jacke brauche ich nicht. Ich bin immer noch eine warme Zwiebel

Normalerweise liebe ich ja ausgiebige Pausen und brauche diese auch für meinen Rücken und zur Entlastung der Füße. Ich hatte mich auch darauf gefreut heute später eine gemütliche Mittagspause einzulegen.  Aber schon nach 10 Minuten Frühstücksrast stelle ich trotz Wetterschutzhaltestelle fest, dass es zu kalt ist, um länger zu sitzen Die Zwiebel kühlt schnell aus. Kein Wunder. Ab Hüfte ist ja auch alles nass.

Wir ziehen schnell weiter. Gedanklich sehe ich die Felle für eine ausgedehnte Mittagspause bereits davonschwimmen....

An der Rhein-Donau Wasserscheide
Wir laufen an dem  Ort Hellengerst vorbei und unterqueren kurz dahinter die B 12. Nördlich der Bundesstraße führt der Allgäuradweg nach wenigen Hundert Metern in einen Wald hinein und wir stoßen auf einen Rastplatz mit einer alten Eisenbahntafel, und zwei weiteren, moderneren Hinweistafeln.
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Aha. Wir sind an der europäischen Wasserscheide Rhein – Donau  auf 937,90 Meter über Normalnull.  Auf der ersten Tafel lerne ich dankenswerterweise, was eine Wasserscheide  überhaupt ist. Ganz kurz und einfach zusammengefasst: Das Regenwasser fließt auf der Westseite dieser Anhöhe auf ober- und unterirdischen Zuflüssen in den Rhein, auf der Ostseite in die Donau.

Ich finde die Tafel eignet sich perfekt für das Ablegen des ersten Pilgersteins.

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Auf der zweiten Tafel erfahren wir mehr über das Isnybähnle, das von 1906 bis 1984 auf der 37,5 km langen Strecke zwischen Kempten und Isny verkehrte. Die Stelle an der wir stehen ist der höchste Punkt des damals befahrenen Stückes  gewesen und seinerzeit auch der höchste Punkt im deutschen Normalspurnetz. Die durchschnittliche Steigung  beträgt 25 Promille oder 0,025 Prozent. Tatsächlich ist die Steigung so gering, dass ich sie seit Weitnau, welches ja auf 800 m liegt, kaum bemerkt habe. Seit 1990 ist der Abschnitt zum Allgäu-Radwanderweg zurückgebaut worden.

Obwohl interessant, halten wir uns auch hier nicht länger als nötig auf. Kurz darauf stoßen wir auf eine weitere Infotafel, die uns darüber aufklärt, dass wir im Naturschutzgebiet  Breitenmoos unterwegs sind und es sich um ein typisches Hochmoor mit seltener Flora und Fauna handelt. Sieh mal einer an! Das hätte ich nicht im geringsten vermutet.

Nach ungefähr drei Stunden sind meine Handschuhe total durch. Die Hose hatte noch früher kapituliert, aber dank der Unterhose sind meine Oberschenkel nach wie vor nicht kalt. Unterhalb der Regenjacke fühlt sich alles trocken an, bis auf den Ärmelabschluss, wo die Handschuhe enden. Da ist es auch nass. Dass Willensstärke und Durchhaltevermögen für den heutigen Tag vonnöten sein würde, war mir schon heute Morgen beim Aussteigen klar. Wieviel davon man tatsächlich braucht, stellt sich dann immer erst unterwegs heraus.
Ich spüre, dass auch meine Schuhe langsam durchgeweicht sind. Leider hatte ich es verpasst sie für heute ordentlich zu imprägnieren. War mir nämlich erst gestern eingefallen, dass das nach meiner letzten "SoakingWetExperience" doch eine fantastische Idee sei, die Schuhe neu zu imprägnieren. Das vorhandene Imprägnierspray war jedoch fast leer und hat nur noch  für ca. einen halben linken Schuh gereicht. Das hätte ich mal lieber für den rechten Schuh genommen, denn das war ja der Fuß, der letztes Mal diese bezaubernde Blase entwickelt hatte. Etwas genervt stelle ich fest, dass  die Feuchtigkeit auch dieses mal wieder eine Reibung unter dem Fuß, in etwa an derselben Stelle, verursacht. So ein Mist, denke ich. Ich laufe mir wieder eine Blase. Und das trotz doppellagiger Socke!  Wieso konnte ich das nicht verhindern? Im Augenblick heißt das Zähne zusammenbeißen, denn jetzt auf offener Strecke verarzten erscheint mir sinnlos.
Da schwammen sie....meine Felle..... mit der Mittagspause...

Gegen halb zwei ist es Zeit für die große Mittagsrast. Zu essen haben wir noch genug dabei. Zu trinken auch. Nur das Picknickfeeling will sich nicht so recht einstellen. Wir finden ein trockenes Plätzchen an einer Bushaltestelle gegenüber dem Schützenverein  Schwarzerd e.V.  Kommt das von Schwarzer Erde? Steht das im Zusammenhang mit dem Hochmoor und dem Torf der hier früher in einem Torfwerk gestochen wurde? Ist mir gerade ziemlich egal.  Es fühlt sich an, als wäre es noch kälter geworden. Oder  vielleicht sind wir einfach nur noch nasser. Ich lasse die warme Jacke trotzdem drin. Der Aufwand des Ein- und Auspackens für die paar Minuten lohnt einfach nicht. Wir essen schnell unsere Brotzeit und keine Viertelstunde später gehen wir weiter, weil es einfach zu ungemütlich ist zu rasten.

Hoffnung in Ermengerst

Wir kommen nach Buchenberg. Was hatte ich dazu noch gleich in meinem gelben Büchlein gelesen? Buchenberg wird auch als Sonnenterrasse des Allgäus bezeichnet.  Ich heule innerlich auf. Heute hätte der Satz wohl eher lauten müssen: Buchenberg kann man  auch als Regenterrasse des Allgäus genießen.  Nun gut. Weiter geht s.

In Buchenberg treffen sich die Berg- und die Bahntrassenvariante und es gibt nur noch einen Pilgerweg, der uns nun Richtung Ermengerst führt.

Ich hätte echt Lust auf einen heißen Tee in einem warmen Gasthaus. Am Ortseingang von Ermengerst sehen wir einen einladend wirkenden Italiener linker Hand, der heute, am Montag, an Allerheiligen, zur Mittagszeit - natürlich – zu hat.

Kurz darauf treffen wir einen abenteuerlustigen Mann mit Schirm, der uns ohne Hund entgegenkommt. Der erste Hundelose heute und ich frage ihn, ob es denn in Ermengerst kein Cafe oder Gasthaus gibt, das geöffnet hat.

Die „ Alte Säge“ gäbe es. Das wäre das einzige. 500 Meter von hier, wir laufen dran vorbei.

Als wir dort ankommen, gibt es tatsächlich Licht in der Säge. Meine Vorfreude ist groß. Ein kleines Fell schwimmt auf mich zu.  Wir gehen zur gläsernen Eingangstür hinter der wir auch zwei Männer erkennen, die offensichtlich mit der Buchhaltung beschäftigt sind. Das ist merkwürdig.

Mein Blick fällt jetzt auf das Schild an der Tür: Betriebsferien bis zum 11. November.

Und zack…. ist das Fell an mir vorbeigeschwommen….

Also kein heißer Tee hier. 

Wahrscheinlich besser so, wer weiß, wann wir hier wieder aufgestanden wären.

Fast am Ortsende liegt die Ermengerster Kirche. Hier verbinden sich tatsächlich der Münchner Jakobsweg und der Bayerisch Schwäbische Camino Richtung Lindau.
Ich möchte schauen, ob sich hier ein Pilgerstempel findet. Und tatsächlich. Ich habe Glück. Es gibt sowohl Pilgertempel als auch Pilgerbuch und  ich schreibe hinein und hinterlasse zur Feier des Tages einen weiteren Pilgerstein.  Als ich ca. 15 Minuten später wieder herauskomme, ist  meine bessere Hälfte fast festgefroren. Der Regen ist noch stärker geworden. Wenn man einen Moment still steht klingt er fast wie Applaus auf meinen Schultern. Auf ein Foto der Kirche verzichten wir aus Nässegesichtspunkten.

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 Reicht Petrus! Reicht!!!

Wir haben noch etwas mehr als drei Kilometer nach Wiggensbach vor uns. Es ist kurz nach 14 Uhr. Wir sind viel schneller unterwegs als wir vermuteten. Kein Wunder, die Pausen fehlen ja auch. Das Wetter treibt uns an.  Mittlerweile haben wir Atemwölkchen vor unseren Mündern, wenn wir sprechen.

Der letzte Anstieg  hinauf nach Wiggensbach ist für mich mental und physisch der härteste Teil des Tages. Es geht direkt an der Hauptstraße entlang. Zum Ende der Etappe werden wir nochmal mit einer Portion Extraregen und Wind konfrontiert. Ich bin kaputt. Ich würde gern den  Turbogang einlegen, aber er klemmt.  In der letzten Stunde sind wir beide, abgesehen von Kopf und Oberkörper, falls nicht auch schon vorher geschehen gewesen, komplett bis auf die Haut durchnässt worden.

Mir fehlt wirklich jegliche Freude, als ich mich den Hang nach Wiggensbach hochquäle und merke, wie ein kaltes Wasserrinnsal erstmalig mein Steißbein erreicht  und anschließen in Zeitlupe meine Poritze herunterläuft. Unangenehm. Äußerst unangenehm.

Ziel erreicht

Kurz nach 15 Uhr, viel früher als geplant, laufen wir in Wiggensbach, im Amselweg, ein. Gleich zwei Karavellen nach einer verlorenen Seeschlacht, die in den nächsten Hafen zurückkehren. Zumindest meine Karavelle ist überholungsbedürftig.  Wir hatten uns bereits kurz zuvor telefonisch bei unseren Herbergsehepaar angemeldet und werden dort bereits erwartet. Hilfsbereit hilft man uns aus den nassen Kleidern und nimmt uns Schuhe und Regenjacken zum Trocknen ab.

Die Heizung wird sofort hochgedreht und Marianne, die Dame des Hauses läuft los und kocht uns erstmal eine Kanne Tee.  Ich spüre meine Oberschenkel nicht mehr. Meine Hände sind aufgeweicht, als hätte ich den ganzen Tag im Schwimmbad verbracht. Meinen rechten Fuß werde ich mir später ansehen.

Kurz darauf kehrt sie zurück mit dem heißen Tee und einem Stück Käsekuchen. Wir fühlen uns sofort wohl in unserem neuen Reich und sind so dankbar für diese gute Seele.

Während ich den Käsekuchen esse,  kann ich kaum fassen, dass wir das durchgezogen haben. Sechs Stunden ohne Unterlass durch den Regen zu laufen.  Die Regenjacke hat den Test also mal auf jeden Fall bestanden.  Unterhemd und Shirt darunter sind noch trocken, die Fleecejacke hat es nur an den Ärmelbündchen erwischt, aber auch nur wegen des Handschuhabschlusses.
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 Auf meine Rucksackhülle trifft das leider nicht zu.  Die erhält das Prädikat „durchgefallen“, nicht zuletzt wegen ihres Netzbodens. Der Rucksack ist am Bodenfach, aber auch an anderen Stellen durchgeweicht. Sein Inhalt, also alles was nicht in wasserdichten Packsäcken verpackt war, und das war zum Glück nur meine morgens leichtfertig verstaute Isolationsjacke und ein Paar Ersatzschuhe im Bodenfach (da drin ist noch nie was nass geworden...) sind ebenfalls nass. Das ist eine neue Erfahrung für mich, denn unter dem Poncho blieb bislang der Rucksack tatsächlich trocken. Durch solch extreme Wetterbedingungen lernt man eine Menge, über sich und sein Material. Im Vorgriff auf eine lange Pilgerung ohne Unterbrechung ist das sicher gut zu wissen, was brauchbar ist und worauf man besser verzichten kann.

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Alles, was nass ist hängen wir vor die Heizkörper. zum trocknen.

Uns ist so kalt, dass wir uns erstmal unter die Bettdecke legen, um uns aufzuwärmen. Mit der Wärme kehren dann die Lebensgeister allmählich zurück und wir rappeln uns wieder auf. Jetzt habe ich auch wieder Energie meinen Fuß zu verarzten. Die Stelle ist fast identisch mit dem letzten Mal, etwas mittiger unter der Fußsohle. EIn Kompeetpflaster verschafft Linderung. Ich muss mir echt was überlegen, wie ich das zukünftig vermeiden kann.

 Ein Blick aus dem Fenster verrät uns, dass es aufgehört hat zu regnen...

Ein verdientes Abendessen 

Ich hatte bereits von zuhause aus für 18.00 Uhr einen Tisch im Landgasthof Kapitel bestellt. Die Vorabreservierung war verpflichtend  gewesen. Mit dem Föhn bearbeite ich noch kurz vorher meine Jacke und Ersatzschuhe, bis sie trocken und angenehm warm zum reinschlüpfen sind. Bei Familie Seelos leihen wir uns prophylaktisch zwei Schirme aus und gehen diesmal trockenen Fußes zurück in die Ortsmitte. Ich empfinde es jedoch nach wie vor als kalt und ungemütlich. Es müsste knapp über 0 Grad sein.

Auch im Dunkeln lässt sich erahnen, dass der Wiggensbacher Ortskern sehr hübsch ist. Ich beschließe jedoch, dass ich mir die Kirche die Kirche St. Pankratius morgen früh bei Tageslicht von innen anschauen möchte. Und auch den Ratsch-Kathl Marktbrunnen (unten rechts) möchte ich mir nochmal im Hellen ansehen.

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Das Essen ist sehr gut, reichlich und mundet hervorragend, der Landgasthof ist jedoch fast leer. Die Touristensaison ist definitiv vorbei und die Coronasaison wird langsam wieder eingeläutet. Versuch einer Erklärung.
Als wir danach wieder vor die Tür treten, ist es trocken geblieben.   Wir gehen zurück und lassen den Tag langsam ausklingen. Für acht Uhr wird uns Frau Seelos das Frühstück richten. 

Während ich schon in den Schlafe dämmere, denke ich noch kurz an Konfuzius. 
Ich hatte den Fokus auf mich und damit auf den ersten Halbsatz seines Zitates gelegt, nicht auf die Erwartungen an andere. Ja, ich habe heute viel von mir gefordert. Bin an mein Limit gegangen. Hand auf's Herz, habe ich mich geärgert?
Jahaajeeeeein.
Zuviel. Über das Wetter.
Aber jetzt, da ich es geschafft habe, fühlt es sich gut an. 

Infos zu Etappe 15

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Meine pilgergfreundliche Übernachtung:

Familie Seelos

Amselweg 17

87487 Wiggensbach

Die gpx tracks für den Bayerisch/Schwäbischen, allerdings über den Höhenweg, den wir nicht gelaufen sind, findet ihr  hier: 

https://www.pilgern-schwaben.de/bad-groenenbach-lindau-nonnenhorn/

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